Gwitter und Nebel

Sitz ufem Fensterbank, d’Fust geballt, frög mi, was mach’ i falsch, verdammt, schloh mit de Fust geg d’Wand, scheisse man. Chum nüme witer i mim Lebe, alles voll Gwitter und Nebel, liebe Gott, chan nur uf dich zelle, seg mir, was söt i mache, drei mi im Kreis und alli sind am Lache. Niemert interessiert’s, was du schaffsch, jede luegt uf sin Arsch und hofft, dass es klappt. Zelle rein, Zelle raus, das isch min Tagesablauf, plane und mache mit mine Akte, wärd doch kei Freiheit erlange. Ja ich weiss, 1000 Mal han ich’s versproche und doch immer wieder broche. Wünsch mir nur die alte Ziite, ohni Problem, ohni Sorge. Aber was wötsch do no gross däzue sege, jede kennt’s Lebe. Grau, chalt und bitter, oft verwütscht’s dä Falschi, oft chasch nüt degege mache, vertrau nur uf dich, denn sogar din beste Kolleg chan dich verkaufe, ja, bin alei uf d’Welt cho und wird sie au so verloh.

Mohammed Moussa
 

An einen Reisenden

Ich war alleine und erstickte meine Sehnsüchte –
Die Nostalgie rettete sie

Zwischen uns liegen tausende von Kilometern
Das Schicksal wollte, dass wir getrennt werden
Und es zwischen uns endete.

Ich fühlte mich alleine auf der
Qualvollen Reise des Sammelns von
Erinnerungen und dünnen Fäden

Ich sah meine Tage verschwendet
Weiss nicht was nicht warum
Du hast in meiner Welt eine
Tiefe Wunde hinterlassen
Die viele Jahre nicht heilen wird

Ich falte mein pochendes Herz ein
In Nostalgie und Erinnerung

Hanadi Kadour

Nostalgie und Sehnsucht

Die Zeit hat mir die Geduld geraubt
Nostalgie trägt mich als Kind zu dir
Wirf dein Herz an meine Brust
Meines ist gebrochen vor Sehnsucht

Das Leben pflanzte Blumen und
Verheissungen an meinen Wegrand
Doch gab ich meine Zeit auf
Delegierte sie an das Leben

Jahre verbrachte ich damit
Mich reichlich zu beklagen …
Und das Alter war der Tag
An dem du mich verlassen hast

Ich habe ein Leben lang
Geweint und nichts mehr ist in mir
Als Wunschdenken

Ich wurde für den Rest meines Lebens
Von Traurigkeit geleitet
Sodass ich nichts als Sorge
Und Traurigkeit erlebte

Ich wünschte ich hätte den
Vielversprechenden Traum gehabt
Dass ich dich eines Tages treffen
Und du mir nahekommen würdest

Ich wünschte die Tage würden rennen
Und rennen und dich zu mir bringen
Du wärest der Meister und
Fürst meiner Prosa und Poesie

Wenn ich es nicht bin oder jemand anders
Dann akzeptiere meine einzige Ausflucht:
Du wirst mein Geheimnis bleiben und
Deine Liebe fliesst ein Leben lang
In meinem Blut … für immer

Hanadi Kadour
 

Teufelskreis

Sitz scho wieder i de Zelle, denk scho wieder a mis Lebe, denk ad Vergangeheit, denk dra i ha mol wölle was ändere. Ja Scheisse Mann, warum han ichs nöd grafft, i hetts chöne schaffe, doch i has nöd gmacht, damals han ich immer gsoffe, i de Nacht mit de Kollege gloffe durch d Stadt, statt uf die Lüt lose wo mir gseit hend «hör uf kiffe, hör uf ticke, mach was us dim Lebe suscht bereusch irgendwenn die Ziite!»
Doch i ha sie dötte alli usglacht, wiiter lüt ussenandergno und debi nüt dacht. Ha gmeint i ha über alles d Macht, han mich i schlechti Situatione bracht und han selber ned gmerkt was ich mach. Immer voll uf Droge gsi und voll wach. Als no Ziit do gsi isch zum ufhöre zu de Kriminelle dezue zghöre, han ich gad agfange mitmache und Lüt usraube. Delikt nach Delikt, niemert hett mich chöne stoppe, ha gmeint niemert chan mich toppe, han gseit «Ich wird no vo do verschwinde, denn kein Bulle chan mich finde!»
Bin noch em Sprichwort gange «Man hat nicht laufen gelernt um heute zu kriechen» und obwohl es stimmt bereu ich die Ziite, denn es fühlt sich so ah, als hett ich mich im Stich loh, als wör ich ganz dunne und mue wieder ufstoh. Doch jedes mol bet i zu Allah «Bitte hilf mir us dem Tüfelskreis usse z cho!»

Mohammed Moussa
 

Echte Kanaken

Polizeibekannt, Knastaufenthalt, unbeschränkt Lifestyle kanak. Wir wollten wie die Azzlacks auf der Strasse leben aber wussten nicht, wie das Leben auf der Strasse geht. Doch jetzt sind wir ein Teil von der Strasse geworden. Jeden Tag hatten wir die gleiche Scheisse. Jeden Tag den gleichen Stress. Hoffte, dass die Cops uns nicht holten und uns reinsteckten. Wir wollten mehr und mehr, weil wir zu wenig hatten. Keiner von uns wollte wenig haben. Wir wollten zum Limit, aber haben es nie geschafft.

Ja, wir sind die Echten und ihr seid die scheiss Bullen, die uns zur Zelle begleiten, zur Hölle, wo du nicht mehr rauskommst. Ja, wir sind die, die grundlos alles nehmen und dir in die Fresse schlagen. Uns kannst du nicht mehr retten, weil wir schon so tief gesunken sind. Du fragst mich von wem ich Respekt habe. Ja, ich hab nur Respekt vor meiner Familie und meinem Herrscher namens Allah. Ja, rede nicht zu viel. Du checkst es nicht, weil du es nicht kennst.

Ja, jeden Tag trafen wir uns. Ich und mein Bruder Abraham. Immer hatten wir das Gleiche vor. Geld machen und leben, wie ein normaler Mensch, doch wir haben uns wie Täter verhalten, obwohl wir das nicht wussten, wurden wir zum Täter und kannten kein Spass. Nur noch Hass. Wir sahen nur noch Schwarz, Rot, Gold. Wurden zu hungrigen Ghetto-Kids und ziehen grundlos Menschen aus. Ja, gib dein Benz oder du bekommst Blei. Wir träumten vom Paradies, doch schliefen im Regen. Wir hatten immer etwas dabei zum Wehren, egal, ob Messer oder Waffen. Wir waren immer bereit, doch irgendwann kamen die scheiss Bullen und verhafteten uns. Danach hatten wir die Hölle, bekamen Jugedstaatsanwaltschaft, aber hatten keine Lust auf so viel Last. Kein Geld mehr, weil wir verfolgt wurden on der Regierung, aber nie gaben wir auf. Egal was dazwischen kam. Wir blieben stabil, überlegten schlau und machten was daraus. Doch irgendwann hiessen wir nicht mehr Mohammed und Abraham, sondern die beiden mit viel Delikten.

Ja, wir sind die Echten und ihr seid die scheiss Bullen, die uns zur Zelle begleiten, zur Hölle, wo du nicht mehr rauskommst. Ja, wir sind die, die grundlos alles nehmen und dir in die Fresse schlagen. Uns kannst du nicht mehr retten, weil wir schon so tief gesunken sind. Du fragst mich von wem ich Respekt habe. Ja, ich hab nur Respekt vor meiner Familie und meinem Herrscher namens Allah. Ja, rede nicht zu viel. Du checkst es nicht, weil du es nicht kennst.

So jung, doch so schlimm. Für uns war das scheiss egal. Wir gingen weiter in den Sumpf und kamen nicht mehr raus. Wir waren nur noch hoffnungslose Ghetto-Kids. Sie wollten uns abschaffen, rausschmeissen, doch wir blieben stabil, bis ich in den Knast musste. Vier Wände, Gitter vor die Augen. Ausgeschlossen von der Aussenwelt, doch ein Mann bleibt stehen, egal ob du runter gedrückt wirst. Ein Mann steht immer wieder auf. Das ist nur eine Pause von vielen und doch eine harte von vielen. Es ist nur eine Pause, die dein Kopf kaputt macht und zerstört. Man wurde als Dreck behandelt, nur weil wir in Unterzahl waren. Egal, ich kam raus und sah wieder mein Bruder. Er wurde zu einem stabilen Mann. Es hat sich so vieles verändert, doch etwas ist geblieben. Die Regierung hatte immer noch ein Problem gegen uns. Ja, wir können uns nicht einfach so ändern. Wir sind richtige Kanaken geworden. Es ist in unserem Blut eingeprägt worden. Du fragst dich, wo du uns findest. Ja, zwischen Hölle und Paradies.

Ja, wir sind die Echten und ihr seid die scheiss Bullen, die uns zur Zelle begleiten, zur Hölle, wo du nicht mehr rauskommst. Ja, wir sind die, die grundlos alles nehmen und dir in die Fresse schlagen. Uns kannst du nicht mehr retten, weil wir schon so tief gesunken sind. Du fragst mich von wem ich Respekt habe. Ja, ich hab nur Respekt vor meiner Familie und meinem Herrscher namens Allah. Ja, rede nicht zu viel. Du checkst es nicht, weil du es nicht kennst.

Mit der Zeit wurden wir kühl. Du siehst in meiner Waschmaschine nur schwarz, Skimasken und Handschuhe, die du in der Nacht wiedererkennen wirst und siehst, wie Fäuste fliegen. Jaja, ich weiss, ich habe schon wieder Post. Ja, mein Bruder ist wieder im Knast wegen Schlägerei oder Messerstecherei. Verstehst du nicht, Ich kann nicht mehr lachen. Du erkennst bei mir nur noch den Stresserblick. Ja, mach du nur weiter mit deinen Witzen während ich im Revier sitze und voll befragt werde. Das Leben ist nicht fair und das weisst du doch, ob du nur für dich schaust, das kannst du sogar ein Blinder fragen. Sag mir, für wen sollen wir noch gute Noten schreiben, wenn wir nur von Beamten und Verbrechern durch den Hof begleitet, soll ich ehrlich sein? Es hat sich ein Scheiss verändert. Ja, ich bin seit 10 Jahren in der Schweiz, aber sag mir, warum schaut uns jeder zweite Bulle schief an? Jaja, ich weiss, ich weiss, niemand ist stolz auf uns, doch wir sind stolz auf uns, weil wir bis jetzt noch nicht aufgegeben haben. Ja, das Leben ist eine Prophezeiung, ob du es bestehst oder nicht, frag mal Allah, ob du es überlebst. Du siehst uns beide immer durch die Stadt laufen, doch weisst nicht, wie wir uns fühlen. Ja, denn ich fühle mich seit Jahren wie auf dem elektrischen Stuhl, der dich immer näher zum Tod führt, doch bis dahin mache ich weiter. Du fragst uns, was wir werden wollen. Ist doch egal. Wir sind eh Kanaken. Es gibt eine Regel auf mein Gesetzbuch und das lautet: Bums die Bullen, sonst wirst du gebumst. Ja, denn die Stadt scheisst eh auf uns, doch egal. Wir bleiben immer unter uns. Ja, die Stadt macht dich arm, doch die Strasse macht dich reich und gibt dir Macht. Was soll das sein. Mein Zeugnis ist ein normales Papier und das soll meine Zukunft sein? Ja, die Regierung geht auf Malediven, Ferien machen, während wir im Knast die Ferien verbringen. Doch vergisst nicht, wir sind ganz einfache Jungs, die einfach ein anderes Lebensmotto haben.

Mohammed Moussa

Leben im Schatten

Wut nur Wut mit  einem falen Beigeschmack
der Einsamkeit, Verzweiflung, Sinnlosigkeit
und Sehnsucht nach dem Tod ...
fliesst wie eiskaltes Wasser durch meinen Geist ...
                                             durch meine Seele ...

Werde nicht mehr weinen, nicht mehr kämpfen,
werde nichts mehr erzählen ... sowie:
Ich will mich niemals wieder erklären ...
Denn sie haben verlernt zuzuhören ...
Sie hören nur, um zu antworten ...

Und genau hier, im Schatten,
vermisse und suche ich die Angst ...
Sie ist nicht mehr mein Feind ...

Jetzt verstehe ich sie ...
Sie war immer da ...
Sie war mein Halt ...
Sie war mein Schutz.
Sie war mein!!

anonym
 

In Flüchen verborgen

Ich kann meinen Platz nicht finden
Verborgen in Flüchen hinter jeder
Ecke stauen sich die Einladungen
Wolken verdunkeln die Wünsche

Ich werde meine Gedanken und
Gebete, die ohne mein Wissen
Mitgegangen sind, überprüfen

Hanadi Kadour

Lumpereien im Kopf

Der kleine Barry ist nun hier.
Macht uns nicht eitel Freude.
Den Katzen vergeht der Atem schier.
Er tut zwar ihnen nichts zu Leide.

Die Fensterscheiben klirren im Stall.
Die Hühner sind vor Barry nicht sicher.
Papierfetzten liegen zerfetzt überall.
Vom Küchentisch wird alles heruntergeschmissen.

Schuh, Strümpfe, Socken, Plastik und Holz:
Alles wird zwischen die Zähne genommen.
Er trägt es fort mit mächtigem Stolz.
Freut sich, dass wir ihm nicht auf die Schliche gekommen.

Die Wäsche flattert leise im Winde.
Das hat der kleine Barry schon geseh’n.
Im Sprung erhascht er sie geschwinde.
Um meine Wäsche ist’s gescheh’n!

Annemarie Hohermuth

Frage mich nicht

Frage mich nicht, wer ich bin
   Ich bin eine Frau der Trauer
Frage mich nicht, wer ich bin
   Ich bin ein menschliches Wesen
Frage mich nicht, wer ich bin
   Ich verbringe ein Leben lang mit mir
Frage mich nicht, wer ich bin
   Ich weiss nicht, wann es dämmert
   Ich bin ein menschliches Wesen
   habe eine seltsame Zeit

Hanadi Kadour

Wir trennten uns auf der Spur

Das Pferd wurde festgelegt – der Sturm verlor sein Schicksal
Bin dies und das an Bäumen – gepflegt vom Gemeinsamen
Alle Düfte überlaufen – Parfums scheiden mit Frühlingsblüten
Wir Menschen wissen mit Flammen – nach dem Abschied
Sehnsucht nach dem Geliebten – herzen mit ihm
Wenn das Herz schwingt – was zurückgeben?
Das Herz schlägt – Schreie, grosser Schmerz
Ich bitte um mein Schicksal – meinen Anteil am Leben
                                Sofort war Himmel

Hanadi Kadour

Aus der Tiefe

Die Frau, die mit ihren Kindern aus Syrien geflohen ist, schreibt folgendes Gedicht:

Tief verwundet aus
der Tiefe des Meeres
​werfen sich Sorgen
zu Bergen auf.

Ich weine für mich,
ich trauere für mich,
niemand kann fühlen,
wie es in mir ist.
Es gibt nichts zu sagen

Aber ich lebe das Leben,
​trauere allein, lache allein,
weiss nicht welche
Angst mich morgen
in Streifen schneidet.

​Ich lache über mich
über das Leben, lebe
den Alltag wie andere.
Ist das Wirklichkeit?

Ewiges Exil

Ich reise in ein Land ohne zurückzukehren
ich ziehe ohne Aufbruch weg, in eine andere Welt
ich gehe ins ewige Exil
ich ziehe weg und werde nicht zurückkehren …
ich werde nicht zurückkehren in die Heimat die mich zerstört hat
ich ziehe aus jedem Flecken Beiruts weg
ich trage jedes Sandkorn des Südens mit mir
und ich gehe ins Exil
Ich werde dich nicht vergessen mein Liebster, in der Nacht der Erinnerungen
ich ziehe weg und deine Liebe wird mich ewig begleiten …
Du wirst mich ab heute nicht mehr wiedersehen, ich reise ins Exil, ins ewige Exil
Ich reise und die Tränen fliessen von der Mauer meines Gesichts
und die Trauer umschlingt die Tiefen meiner Seele
In meinem letzten Wiedersehen werde ich dich küssen und ziehe weg …
Ich ziehe weg … ich ziehe weg ins ewige Exil!
ich reise in die dunkle Welt, welche das Licht verloren hat, die fremde Heimat,
und ich ziehe weg auf einem Weg ohne Ankunft
Ich ziehe weg … ich ziehe weg ins ewige Exil …!

Hanadi Kadour

Gedanken

Manchmal...
Sehe ich Türen, wenn ich daran horche, höre ich dahinter Wut, Verzweiflung
Sinnlosigkeit und fühle mich selber leer.

Manchmal...
Klopfe ich an Türen und es wird mir nicht aufgemacht.

Aber plötzlich, in der grössten Dunkelheit, sehe ich ein Licht...
Und dieses Licht gibt mir die Kraft, an die Liebe, Geborgenheit
und manchmal sogar an Glück zu glauben.

Öffne die Tür Deines Herzens und Du wirst erst dann offene Türen finden...

Beharrlich gehe Deinen Weg und finde Glück.


Selina Natascha Eigenmann
 

Wunderwelt

Mitten im Schwarm schaute
ich zu wie die Flocken
Landeten auf dem Teer
Ihre weissen Augen
Die mich in schlingerndem
Flug betrachten hatten
Schmolzen und erloschen –
Lauschte den Worten
Der Alten nach: Niemand
Interessanter lebe hier
Im Altersheim, die meisten
Seien beim Mann geblieben
Bis dieser gestorben sei
Sie aber sei weit gereist
Ob sie denn gerne von
Ihren Reisen erzählen würde?
Nein! Sie wisse ja nicht mehr
Wo sie überall gewesen sei.
Lange hält sie inne: Alles
Geht einmal zu Ende wohin
Kommen wir dann? Nach
Nirgendshausen? Bleiben
Wir dann immer dort?
Wieder hält sie lange inne:
Wir können denken, riechen
Schauen, schmecken, das
Ist doch wie ein Wunder –
Wir leben in einer Wunderwelt

Bernhard Brack, Sozialarbeiter
 

Flash

Ich fragte den jungen Mann, wie es sich anfühle, wenn man einen „Flash reinziehe“, was denn da in einem vorgehe. Zur nächsten Beratung brachte er ein Mundartgedicht mit.

Bimena Flash fühlsch di wiä neu gebora
doch chum i druf hei weiss i, jetzt gits heissi Ohre
doch leider gits au Zita do hesch kei Cash
denn merksch au, du vermissisch da Flash
denn wennd druf bisch, bisch i dinera eigna Welt
doch leider got au druf dis letschti Geld
denn endlich bim ena Neujahrs Ziel han is grafft
Droge bringend nüt und hans mit letschter Chraft
usem Droge Kreis use gschafft –
doch am Kiffe han i no nöd ganz chöna entflücha
i dua jetzt no gern mol amena Joint zücha

Christoph Zanotti

Lebensgschicht in einem Gedicht

Früher habe es ihm geholfen, Gedichte zu schreiben, dann sei das Problem auf einem Blatt Papier gewesen und nicht mehr in ihm, sagte der junge Mann. Warum er denn nicht mehr schreibe, fragte ich ihn. Ich würde mich sehr freuen über einen Text von ihm. Das war vor einem Jahr. Gestern aber brachte er ein Gedicht.

Nach langer Wartezit übergib i ihne es Gedicht
verfasst mitema Teil vo minera Lebensgschicht
i bi nöd immer ein eifachte gsi
doch dia Zitä sind jetzt verbie
i bin oft vo mim Onkel gschlage worde
doch dä isch für mi scho sit längerem gstorbe
drum bin i scho zimlich fruah uf d'Gass
denn es entwicklet sich än grosse Hass
mit da Zit isch es denn nüm guat gange
i ha s'Gfühl gha alli lönd mi hange
spöter hät min Vater sich s'Leba gnoh
i ha alles eifach nöd chöna verstoh
drum bin i ziemlich schnell i d'Droge cho
ha döt d'Geborgenheit gsuacht
han aber ziemlich schnell alli um mi uma verfluacht
danoh han i mit 16 en Bistand übercho
dä hät mir dänn au mini Freiheit gno
i ha glernt mis Leba müässe z'aktzeptiere
eifach nöd z'viel über gwüsse Sache noh studiere
sorry jetzt loht mini Fantasie noh
i wett no säga i bi nöd über alles i mim Leba froh
wenns ihne passt, schrieb i denn no meh
schrieba hani druf, da werded sie den geseh  

Christoph Zanotti

Persisches Gedicht

Die Frau aus Persien lebt seit November 1997 in der Schweiz. Die Mutter von zwei Kindern sucht eine Arbeit als Dolmetscherin. Eine ihrer Leidenschaften gilt den Gedichten und deren Übersetzung.

Mit den Flügeln der Gedanken fliege ich zu dir.
Im Ozean deiner Liebe bekomme ich die schönsten Gefühle.
Am Strand deiner Liebe und im Sand deiner Gedanken wird mein Herz ruhig.
Mit der Kraft deiner Liebe bin ich fröhlich.
Dich zu sehen und dich zu hören ist mein grösster Wunsch.
Du nur du bist immer bei mir, in meinem Herzen, all meinen Gefühlen, Tag und Nacht.

anonym

Halt mich nicht fest

Als 4-Jähriger kommt er mit seiner Mutter und seinen Geschwistern von Haiti in die Schweiz. Seinen Vater kennt er nicht. Bis 7-jährig lebt er in einem Heim, dann bis 18 in einer Pflegefamilie. Seither hat er als Küchhilfe gearbeitet, Betreuer in einem Asylantenheim, Hilfsarbeiter, Metallarbeiter, Allrounder und Promoter von Handys. Auf die Frage, was er mit Leidenschaft gerne tue, antwortet er: "Gedichte schreiben."

Berühre mich, aber halt mich nicht fest.
Gib mir Geborgenheit, aber sperr mich nicht ein.
Rede mit mir, aber verbiete mir nicht den Mund.
Sag mir deine Wünsche, aber zwing mich zu nichts.
Mach mich atemlos, aber nimm mir nicht die Luft.
Lass mich frei, damit ich dir frei alles geben kann,
was du nicht festhalten musst.

Ohne dich

Ich fragte den jungen Mann, was er denn gerne mache, richtig gerne, mit Leidenschaft.
Er schreibe Gedichte.
 
"Gedichte?"
„Ja.“ 
„Wir freuen uns über Gedichte, wir können sie auch veröffentlichen unter www.ueberlebenskunst.org.“
 „Meine Gedichte versteht hier niemand. Ich schreibe in Portugiesisch.“ 
„Wir finden jemanden, der es übersetzt.“ 
Zur nächsten Beratungsstunde brachte er ein Gedicht mit: 


Ohne dich
 
Diese Einsamkeit verfolgt mich
Diese Leere, niemanden zu haben.
Aus meiner Lebenserfahrung der Wunsch
mich zu sehr abschirmen zu wollen.
Ein Warum mit vielen Fragen,
wächst zu einem Wesen ohne Antwort.
Der unendliche Wille,
die Unendlichkeit von Nichts.
Angst, weil die Welt beängstigend ist
Angst vor der Einsamkeit
Angst vor der Liebe
Angst vor allem und jedem
Angst ein Wesen aus Nichts zu werden
Angst vor dem Leiden
Angst jemanden zu verletzen
und meine grösste Angst: Dich zu verlieren!
 
Für seine Gedichte hatte er nie einen Verleger gefunden. Ich kann mir vorstellen warum. Zu wenig Formbewusstsein, könnte der eine Lektor gesagt haben. Keine eigene Sprache, der andere.
 
Ich lese das Gedicht, zweimal, dreimal:
 
Ein Warum mit vielen Fragen,
wächst zu einem Wesen ohne Antwort.
 
Und tauche ein in ein Lebensgefühl, das ich nicht präziser hätte beschreiben können: Verloren in einem Horizont ohne Ende. Wo beginnen, welchen Standpunkt einnehmen, wo dieser doch mit der Zeit fliesst, schon jetzt wieder ein anderer ist? Dieses Lebensgefühl, das auf der anderen Seite auch Offenheit beinhaltet, hat gelitten während jener Zeit, da ich genau zu wissen glaubte, wer ich bin.
 
Der unendliche Wille,
die Unendlichkeit von Nichts
.
 
Ich sehe mich zielstrebig durch die Stadt laufen, zielstrebig meine Karriere planen. Sehe mich unterrichten mit modernen Methoden-Tools. Grandios, was ich mit meinem Willen erreicht habe, erreichen kann.
 
die Unendlichkeit von Nichts.
 
So lese ich das Gedicht, stolpere voran, glaube zu verstehen und verstehe wieder nicht.
 
Nach einem halben Jahr kommt er überraschend wieder zu unserer Beratungsstelle. Er wolle nur einen Essensgutschein. Seine Situation hat sich kaum verändert. Er hängt rum in den Dreiweihern, lebt vom Sozialamt und muss massive Kürzungen hinnehmen, weil er Termine nicht einhält.
 
„Ich habe ihr Gedicht aufgehängt, hier im Pfarreiheim.“
„Ehrlich?“
Wir gehen das Treppenhaus hinunter bis zu seinem Gedicht. Lange bleibt er davor stehen, lächelt und sagt:
„Ich sollte wieder schreiben.“

 
Bernhard Brack, Sozialarbeiter und Geschichtensammler
Januar 2013

Liebe

Das Wort Überlebenskunst passt absolut zu meinem Leben und so fühle ich mich aufgerufen, hier einen Beitrag zu leisten. Inspiriert zu dem folgenden Gedicht wurde ich letzte Weihnacht durch ein Weihnachtslied…. Tja, damals, vor einem Jahr, war alles noch in Ordnung, war meine Welt noch ok.

Liebe, was ist das?
Liebe ist ein starkes Wort
Liebe empfindet jeder anders
Liebe, davor haben viele Angst

Liebe verbindet
Liebe verzaubert
Liebe beflügelt
Liebe macht verletzlich

Liebe bedeutet seine Gefühle zulassen
Liebe ist eine Bereicherung im Leben
Liebe heisst sich zu öffnen
Liebe bedeutet sich seiner Gefühle zugestehen

Liebe bedeutet geben und nehmen
Liebe ist eine nährende Energie
Liebe macht das Leben lebenswert
Liebe, danach sehen sich alle

Liebe bedeutet seine Gefühle dem andern zeigen
Liebe heisst vertrauen
Liebe heisst, das Gute in dem Anderen zu sehen
Liebe heisst die Gefühle des Anderen zulassen

Liebe ist frei von Forderungen
Liebe ist frei von Bedingungen
Liebe ist LEBENSELEXIR
Liebe braucht KEIN GEGENÜBER

Liebe geben und Liebe ernten
Liebe gibt es in Hülle und Fülle
Liebe ist kostenlos
Liebe steht jedem zu

Liebe dich selber  - so kannst du auch Liebe annehmen
Liebe dich selber, - so kannst du Liebe geben
Liebe dich selber - und das Leben ist einfacher
Liebe kann verzeihen

Liebe macht weich
Liebe lässt Menschen über sich hinaus wachsen
Liebe gibt und Liebe nimmt
Liebe ist Lebensqualität

Liebe ist stark und kraftvoll
Liebe nährt
Liebe ist ein starker Motor
Liebe will niemals besitzen

Liebe ist respektvoll
Liebe ist achtsam
Liebe ist tolerant
Liebe ist liebevoll

Liebe lässt los
Liebe gibt frei
Liebe ist frei und macht frei
Liebe bedeutet  - dem Anderen sein Glück gönnen
egal wo dieser auch immer es finden mag

Liebe ist das Salz in der Suppe
Liebe ist  Lebenselixier
Liebe ist ein Grundbedürfnis
Liebe  also DEIN Leben – und LIEBE  wird dir zuteil

Manuela Vogt

Keinen Stern

Não  ha estrelas no ceu
A iluminar o meu caminho
Por mais  amigos que tenho
Sinto-me sempre sozinho
e que vale a pena
Tenho uma nota no bolso Para cigarros e bilhar
Se parece que o mundo
Inteiro se uniu para me tramar
 
Es hat keine Sterne am Himmel
die mir meinen Weg erleuchten
Für die Freunde die ich habe
Fühle ich mich immer allein
Und was ist es wert
Habe eine Note in der Tasche für Zigarren und Billard
Es scheint dass sich die ganze Welt
vereint hat um mich abzuschlagen

Oktober 2012
Rui Afonso

Ohne Dich

Beim Abschied von einer geliebten Person, fällt es schwer, seine Emotionen zu zeigen. Rui Afonso zieht sich lieber zurück und schreibt...

Sem Ti

Esta solidão persegue-me
Este vazio, sem ter ninguém
Talvez por me refugiar demais
Pela própria experência de vida
É um porquê de muitas perguntas
É um ser de poucas respostas
É um querer infinito,
É um infinito sem ter nada
É medo porque o mundo mete medo
É o medo da solidão
Medo do amor
Medo de tudo e de todos
Medo de me tornar um ser sem nada
Medo de sofrer
Ou talvez de fazer sofrer
Mas o meu maior medo
É o de te perder

Rui Afonso


Ohne Dich

Diese Einsamkeit verfolgt mich
Diese Leere, niemanden zu haben.
Aus meiner Lebenserfahrung der Wunsch
mich zu sehr abschirmen zu wollen.
Ein Warum mit vielen Fragen,
wächst zu einem Wesen ohne Antwort.
Der unendliche Wille,
die Unendlichkeit von Nichts.
Angst, weil die Welt beängstigend ist
Angst vor der Einsamkeit
Angst vor der Liebe
Angst vor allem und jedem
Angst ein Wesen aus Nichts zu werden
Angst vor dem Leiden
Angst jemanden zu verletzen
und meine grösste Angst: Dich zu verlieren!

Rui Afonso

Öffned euri Auge

Die Gesellschaft isch i Unterschicht und Premium-Etage ufteilt
Me sitzed im gliche Boot, wie bim Tauzieh risse mo am gliche Seil
I bi nöd guet betuecht, doch für de Kampf bereit
Wie mo üs unterscheidet…   de Life-Style

Vo une isch schwer zum ufe cho, bis d’Cheffi bricht
Nennet üs asozial, Parasite oder Terrorist
Ihr zahlet Stüre, reget eu uuf, i zeig eu e andri Weltsicht
Tusche mo üsi schueh, denn weisch wie s isch

Ide Schwiiz herrscht Demokratie, da cha nöd eure Ernst si
Seg dini Meinig, du wirsch wie z’Arabie gsteinigt
Machet vo eurer Bürokratie besser e Kopie
Sie wörfet sie in Papierchorb, scheisset uf di

Eifach isch es Frust wegsuufe
Wiil es schiint so als wär i i de Welt nöd z bruche
Jede isch sin Glückes Schmied, i kei 20x uf de Bode
Stoh uf und chum nöd as Ziil
Da isch lebe, da isch real, e Nummere i dem System
Jede het Problem, lueg d lüüt id Auge du wirsch gseh
Isch es verwunderlich dass es Überfäll giit und lüüt sich wönds lebe neh

I cha nöd vo Luft-Liebi lebe, schaff nöd für en Hungerlohn
I ha e bitz Asprüch und Fick die Nation
I bi im Chopf es Chind
Es cha nöd si dass me über ein bestimmt
I ha kei Motivation wenns heisst mach dies mach das
Öffned euri Auge und werdet wach.

anonym

Gefallene Engel

Ein junger Mann beschreibt in einem kurzen Rap
wie er seine Umgebung wahrnimmt und sich dabei fühlt.


Die Welt hier kommt mir so kalt vor,
ich frage mich wo ist die Ehrlichkeit geblieben,
wenn wir uns nur alle selber betrügen.
Was haben wir davon.

Ich will noch an das Gute glauben,
trotz all der Dunkelheit versuch ich noch nach oben zu schauen.
Irgendwann mal jemandem wieder vertrauen,
sorgenfrei leben, das Leben geniessen.

Werd ich das noch erleben?!
Ich hoffe schon, und dafür werd ich glauben.
Ich will meinen Garten Eden
und alles einsetzen.

Denn in dieser Welt fühl ich mich nicht gut.
Ich schau um mich herum,
hier werde ich wohl nie das finden was ich such.

Ich werde die Hoffnung nicht verlieren,
mein Leben auf irgendeine Art zurechtzubiegen,
um dann meine Flügel auszuspreizen
und wieder nach Hause fliegen.

M.B.

Es steht ein Lichtlein Stern

Ein 37-jähriger Mann macht sich Gedanken zur Weihnachtszeit.

Es steht ein Lichtlein Stern,
mal nah, mal ganz fern.

Es ist ein Wund'r geschehen,
all Kindlein haben's gesehen.

Es ist in uns all'n die Liebe,
sie wächst und gedeiht Triebe.

Des Menschen grösstes Gut,
s'ist des Lebens Mut.

Hand in Hand das Leben,
dem nächsten zu vergeben.

Die Kinder hoch soll'n leben.
nicht's wichtiger es kann geben.

Friede, Friede, kein Krieg so toll,
doch sicher ist dieses Mass bald voll.

Warum nur ein einz'ger Tag im ganzen Jahr,
Zeit für Liebe ist doch immer, nicht wahr?

Zu den Kindern sei immer ganz ganz nett,
es macht sie glücklich, froh sie geh'n ins Bett.

Die Bösen werden alle mal bestraft,
dafür sorgt der Liebe Kraft.

Alle Menschen haben das Recht zu essen,
ganz klar, das ist nicht mehr als angemessen.

Wie kann den Menschen Geld bloss glücklich machen,
es gibt doch so viele andere schöne Sachen.

Aus Liebe für den ganzen Morgen,
der Vater nimmt alle Sorgen.

Lieb dein Kind, stets du sollst es loben,
bedenk, es kommt vom Himmel ganz weit oben.

Die Macht es ist zu lieben,
dies ist der Himmel sieben.

Nach oben, zu allen Seiten,
Kinder, unser sind die Gezeiten.

Auch in kalten, nassen Tagen,
der Hergott lässt nie verzagen.

Er hat euch nah und fern,
immer gern und gern.

Für euch mit diesem Gedicht,
ich wünsch' es werde Licht.

Es ist nie zu spät zu lieben,
auch nicht um fünf nach sieben.

Der Liebe Saat du erbst,
es wird getrost all Herbst.

Die beste Waffe, es ist dein Herz,
lässt vergehn all jeden Schmerz.

Der letzte meiner Reim'
dir sagt wir gehen heim.

O.L., 2010

Ich danke Gott

Ein junger Mann erlebte die Zeit in einem Heim als ein Wechselbad der Gefühle: Liebe und Entäuschung, Hoffnung und Zorn. Seine Erfahrungen beschreibt er in einem Rap.

Manchmal gab es Zeiten, wo mir alles sinnlos vorkam
und ich nicht mehr die Sonne sah an jenem Tag
Mir ging es schlecht
Ich dachte mich verfolgt das Pech
Aber ich war selbst schuld an meiner Situation
doch ich checkte nicht, dass das Gras daran schuld war
ich wusste gar nicht mehr, was ich tat
Mein Glauben war verloren
Ich wollte niemanden mehr lieben, mein Herz war gefroren!
Doch der Vater gab mir immer wieder Zeichen
langsam begriff ich und fing an zu beichten
Er führte mich zu einem Mädchen, das ich liebte
Und ich spürte Wärme und wie das Gute in mir siegte.
Sie ist seit langem gegangen
Es war schade, denn mir war, als ob wir uns schon ewig kannten!
Ich glaube wieder an Gott, und dass es ihn gibt
und ich weiss, dass er herunterschaut und jeden von uns liebt
Er hilft mir immer wenn ich ihn brauche
Aber er gibt dir nichts umsonst
Es ist, als ob man ein Kind für schlechtes Benehmen lobt
Keine schlechte Stimmung mehr
Doch bis dahin ertrag ich den Schmerz
den mir die Erzieher zufügen
Irgendwann werden sie auch dafür büssen
Und dann lache ich mich kaputt
Ich schaffe meinen Durchbruch
Während ihr nur Jüngere quält
Fliege ich um die grosse weite Welt
Verliere niemals die Hoffnung und bete
Das ist der beste aller Wege
Sie sagen, sie haben uns gern und bestrafen uns ungern
Aber in Wirklichkeit werden sie sich um keinen Dreck scheren
Sie können wieder nach Hause gehen
und nach einem Monat in der Bank ihr Konto sehn
Sie machen sich keine Bedenken
Wenn ihr uns schon anlügt
und von vorne bis hinten betrügt.
Dann habt zumindest ein schlechtes Gewissen am Abend
ihr kleinen hässlichen Dreckschaben
Kommt auf die Strasse, dann machen wirs nach meiner
Masche.

M.B.

Stille und Heiterkeit

Die Kunst des Lebens besteht darin, die inneren Werte zu erkennen und zu pflegen. Ein Mann, der diese Lebensweise praktiziert, hat folgende zwei Gedichte verfasst.

Die Stille

Die Ruhe fliesst
             durch mein Fenster hinein.
Das Licht und die Schatten
             nehmen ihren Platz
                          vor mir ein.
Ich liege auf meinem Bett,
              bin zufrieden und dankbar.
Ich nehme jeden Augenblick wie noch nie wahr.
Die Zeit eilt nicht mehr davon.
Im Sein und Werden bin ich eins.


Heiterkeit

Der Nebel über dem Bodensee,
die Krähen,
das Zwitschern der Vögel,
der Schnee vor meinen Füssen,
die kühle Luft an meinem Gesicht,
der Dampf meines Atems im Wind,
ich auf der Sitzbank.
Ist das alles nicht Schönheit?
Was brauche ich noch,
              ausser Brot, Wasser und Heiterkeit.

anonym

Tausend Jahre leben

Eine Frau macht sich in Form eines kurzen Gedichts Gedanken über die unendlichen Wünsche der Menschen und deren möglichen Folgen.

Jeder wünscht sich langes Leben
seine Kisten voller Geld.
Wiesen, Wälder, Äcker, Reben,
Klugheit, Schönheit, Ruhm der Welt.
Doch würde alles wahr
was man sich wünscht im neuen Jahr,
dann wärs um diese Welt
glaubt mir jämmerlich bestellt.
Denn lebten alle tausend Jahr,
was gewönnen sie dabei:
kahle Köpfe, graue Haar
und das ewige Einerlei.
Im erschrecklichen Gedränge
würde Dorf und Stadt zu enge
und die ganze Welt zu klein,
und wer wollte Doktor sein.

Regula Matter

Mein Opa, der Held

Eine Frau schreibt ein Gedicht für ihren Opa, der damals im Krieg in Deutschland gefallen ist.

Es ist einer dieser Tage,
an dem wir bei Oma sind,
es duftet nach Kuchen und Kaffee.
Wir lauschen ihren Worten
ihre Tränen sind nicht zu übersehen,
wenn sie von Opa erzählt.
 
Sie alle gingen damals einen schweren Gang.
Und ich schaue auf die Bilder an Omas Wand.
Opa, ich vermisse dich,
und ich glaube fest daran,
egal was man erzählt,
du warst ein guter Mann.
Die Oma sagt, du warst ein Held
und gabst das Leben für das Land,
ihre Tränen lügen nicht,
und zu gerne hätte ich dich gekannt.
 
Sie erzählt von einer Zeit,
für uns unvorstellbar,
geprägt von Tränen, Glück und Leid.
Und immer wenn sie Opa sagt,
klingt ihre Stimme seicht und warm,
sie schliesst ihre Augen
und fällt schlafend in meinen Arm.

anonym

Mein kleiner fliegender Freund

Ein toter Vogel liegt am Boden. Eine Frau beachtet ihn und schreibt spontan ein Gedicht.

Du bist so klein und zart und hast ein schönes Federkleid.
Doch jetzt bist du tot und das tut mir sehr leid!
Mein kleiner fliegender Freund, was ist mit dir geschehen?
Nie mehr wird dein Gesang mein Herz erfreuen
Und deine Gegenwart mir lieb sein.
Doch das ist der Lauf des Lebens
– fressen oder gefressen werden –
auf anderes hoffen die Tiere vergebens.
Mein kleiner Freund, ich werde dich nie vergessen,
hast du doch einen Platz in meinem Herzen besessen!

Marianne Lippuner

Glück

Dieses Gedicht, verfasst von einer Frau, ist für alle Menschen, die einen Schubs brauchen, um neuen Mut zu schöpfen und wieder aufzustehen.

Warum verlaufen Dinge wie sie`s tun,
von Anfang an dem Ende zu,
und doch weiter als man ahnt,
weiter als man sehen kann.
 
Ich habe alles und hab nichts gesehen,
und ich fange an zu verstehen,
wer ich bin und was ich war,
vielleicht zum allerersten Mal.
 
Unser Glück war immer da,
immer da, wo wir nicht war`n,
holen wir es uns zurück,
mehr davon Stück für Stück.

Und geht dein Traum in Flammen auf,
such dir einen neuen aus,
der Rest verschwindet von allein,
dies ist ein Aufruf zum Glücklichsein.
 
Einmal, einmal kommt der Tag,
der die Erlösung bringt.
Unser Glück ist ohnehin
immer da, wo wir nicht sind.

Einmal, einmal kommt der Tag,
der mit dem Schicksal ringt,
und wir erkennen wer wir sind,
der Tag an dem alles neu beginnt.

anonym

Ordnung und Pünktlichkeit

Das folgende Gedicht stammt von einer Frau, die es wiederum von ihrer Grossmutter aus Deutschland erhalten hat. Mit diesen Zeilen wollte sie ihrer Enkelin Ordnung und Pünktlichkeit lehren.

Nun Kinder, aber flink gemacht,
rasch in die Schul, es ist gleich acht.
Habt ihr mir auch kein Buch vergessen?
Wer nachsitzt, bekommt nichts zu essen.

So sprach die Mutter und geschwind,
nahm Abschied nun ein jedes Kind.
Die Knaben sprangen frisch hinunter,
und Anna folgte ihnen munter.

Kaum war sie unten, fiel ihr ein,
wo mag mein Lesebuch wohl sein.
Ich hab’s vergessen, oh wie dumm,
da kehr ich lieber wieder um.

Gesucht wird oben lange Zeit,
das Buch findet sich auf dem Küchenherd
und rasch damit von dannen fährt.
Vom Kirchturm drüben schlägt es acht.
Ei, ei, wer hätte das gedacht.

Flink um die Ecke, wie der Wind,
läuft Anna atemlos geschwind.
Sie läuft die Treppe der Schul hinauf.
Sie reisst die Tür der Klasse auf.

Doch ach zu spät, wie jammerschade,
die Kinder drinnen beten grade.
Sie tritt zum Schluss beschämt herein
und nimmt den letzten Platz nun ein.

Die Klasse hat jetzt Heimatkunde.
Doch Anna denkt nicht an die Stunde.
Sie denkt ans heutige Mittagsbrot
und wird von Schreck ganz dunkelrot,
als sie der Lehrer plötzlich fragt,
denn sie weiss nicht, was er gefragt.

Nun Anna, nenn mir die Strasse, die ich zeige hier.
Die Spree, ruft sie heraus.
Die ganze Klasse lacht sie aus.
Sie wird darüber gar nicht böse,
denkt weiter an die feinen Klösse,
die es heute grad zu Mittag gibt,
und die sie ganz besonders liebt.

Da tönt’s schon wieder, wie mag heissen,
die Hauptstadt wohl, vom Lande Preussen.
Doch Anna kann sich nicht besinnen.
Der Lehrer sagt, du wohnst noch drinnen.

Ach so, die Mittelstrasse, sagt sie, während alles lacht.
So ging’s die ganze Stunde fort,
und Anna weiss kein einzig Wort.
Nachsitzen musste sie bis eins.
Und Mittagessen gab es keins.

Die Mutter aber ernsthaft sprach,
ein Fehler zieht den anderen nach.
Hättest du dein Buch gleich mitgenommen,
so wärst du nicht zu spät gekommen.

Und hättest du hübsch gegeben acht,
du nicht an Mittagsbrot gedacht.
Die Ordnung ist der Mädchen zier,
das merke für die Zukunft dir!

überliefert

Teer

Vor vierzehn Jahren hat sie ein Gedicht geschrieben, das für sie auch heute noch Gültigkeit besitzt. Es handelt vom Widerspruch der Moderne, die sich mit Teer immer neue Verkehrswege erschliesst, gleichzeitig aber die Wege zum Selbst verbaut. Lesen Sie das berührende Gedicht über den Befreiungskampf eines Strassenkindes.

Was wäre es schön,
könnte ich den schwarzen, zähflüssigen,
inzwischen verhärteten Teer,
der meine Haut, meine Seele –
dort, wo er sitzt – nicht atmen lässt,
einfach so abkratzen.

Man sagt, es sei normal,
allemal für Strassenkinder,
Teer an der Haut kleben zu haben.
Mit Teer würden die Strassen
des Lebens gepflastert,
die uns Menschen erst die Vielzahl
der Möglichkeiten eröffne,
neue Wege zu beschreiten.

Mich lähmt der Teer,
macht mir müde Glieder,
lässt mich nicht atmen.
In meine zarte Kinderhaut
brannte er tiefe Wunden.
Die Narben kann man
heute noch sehen.

Die  Zeit heilt alle Wunden,
ha, ha, dass ich nicht lache!

Damals waren meine Fingernägel
noch zu weich und nicht lang genug,
um den verhassten Teer abzukratzen.
Dann wuchsen sie und
ich bekam bröckchenweise
den einen oder anderen Teerklumpen los.

Ich schien einzutauchen in die Leichtigkeit des Seins…

Strassenkind bleibt Strassenkind,
und so kamen,
die Haut begann zu atmen,
sich zu erneuern,
neue zähflüssige Teerschlacken hinzu.

Ich besuchte für ein Jahr eine Schamanin,
die mit viel Liebe und Spiritualität
meine verhärteten Teerklumpen,
die mich nicht atmen liessen,
mir die Freude der Leichtigkeit nahmen,
aufweichte und wegschwemmte.
Der Teer floss in den Boden
und floss bis zum Erdmittelpunkt.

Heute vermag ich es in zunehmendem Masse,
dem Teer auszuweichen,
auf dass er mich nicht mehr trifft.

Auch sind meine Fingernägel inzwischen
hart genug,
ich habe sie seit dem Besuch bei der Schamanin
auch nicht mehr geschnitten,
um neue Teerklumpen jederzeit
mit Geduld und Spucke
abkratzen zu können.

Hin und wieder,
die Zeiten mehren sich,
gelingt es mir sogar
frei zu atmen
und positive Energien
wahrzunehmen.

Silvia, geschrieben im Januar 1996

Tagebuch eines Arbeiters

Der 56-jährige Mann, der sich nach Australien abgesetzt hatte, um seinen Vater zu suchen, kehrte in die Schweiz zurück und wurde vom vorherigen Arbeitgeber trotz seines unbegründeten Verschwindens wieder eingestellt. Nach wenigen Wochen kam er erneut zu uns auf die Beratungsstelle und sagte, er fühle sich gemobbt. Ein Gespräch mit seinem Vorgesetzten wolle er nicht. Ich bat ihn, ein Tagebuch zu führen, damit wir etwas in Händen hielten, wenn sich der Konflikt zuspitze. Folgende Notizen, die mir nach mehrmaligem Durchlesen immer mehr wie ein Gedicht erschienen, weshalb ich den Zeilenfall beibehielt, brachte er zur nächsten Beratungsstunde mit:

Januar, komische
Verrichtungen verschiedener
Leute auf dem Arbeitsweg
und am Arbeitsplatz

Unwohle Gefühle in
der Halle
Unfreundlichkeit des
Vorgesetzten und Mitarbeiter

Februar, sehr unwohl in
der Halle zu viele
Abgase von dem Diesel-
Stapler

März, immer das Gleiche

12.3.09 morgen

Keine Arbeit
Keine Kündigung
hat Grünenfelder gesagt
ich gehe oder er gehe
Februar kein Licht
im Treppenhaus
viele Leute rauf
und runter in der
Wohnung nebenan

anonym

Raum, verdichtet

Ein Mann kommt in einen Raum, lässt sich von der Stimmung, von den Bildern und dem Ausblick aus dem Fenster inspirieren und in kürzester Zeit entstehen sieben Gedichte.

Verlassener Raum
Traum
Trotzdem Bewegung
Innerhalb der
Weissen Wände
Hängt
Ein Bild
Ein rundes Blaues
Von Meer
Gehe darauf zu
Ach Diese Ruh
Darauf zu

Verlassener Raum
Vor dem Fenster
Jener Baum
Durch Scheiben
Schweigen Traum
Oh Verlassener Raum

Versammelt sind sie
Die Stühle
Ob es mitten
Mittendrin jemand
Gibt?

Stiller Raum
Ein anderer
Heller Traum
Voll Licht
Stiller Traum
Kein anderer heller Raum
Weite Sicht


Rotz Nase

Der mit der roten Nase
Ach der
Der so lustig ist
Läuft herum
Mit „ach so“
Von Gesicht


Lied

Ob sich da etwas bewegt
Kann schon sein
Auch wenn so klein
Es tut sich was
Bewegen
Begegnen Sha La La

Würde gerne wieder einmal in den Süden
Grad jetzt ist es Winter geworden
Um dieses Lebendige zu erleben
Dieses Lachen diese Musik, daran teilzunehmen,
zu feiern: dieses Erdenleben.

Schu Dezember 09

Königin Astrid

Eine Frau, die seit Jahren in einer Altersresidenz lebt, erinnert sich an eine Pflegerin, die ihr sehr viel gegeben hat. Sie hat ihr ein bewegendes Gedicht gewidmet.

Ihre Hoheit, die Königin Astrid
sorgt nachts für meine Wenigkeit
und bringt mir trotz meines Leidens immer wieder Heiterkeit.
Sie hat Witz, Humor und ihr heiteres Wesen
trägt dazu bei, dass Patienten besser genesen.
Schwester Astrid sollte man in grosser Anzahl klonen
ich glaube, für jede Klinik würde sich das lohnen!
Heute beginnt die Fastnachtszeit
Mensch, was für Erinnerungen an meine Kindheit.
Jedes Jahr beim Umzug durch die Strassen der Stadt dabei,
Verkleidungen fantasievoll, selbstangefertigt mancherlei
Schwester Astrid würde auch gut zu einer Maskerade passen
ihre Lieblingstätigkeit ist nämlich spassen.
Im Speisesaal bringen ihre lustigen Witze uns immer wieder zum lachen
das Gelächter darüber lässt uns manchmal beinahe platzen.
Auch die vergessene Pointe am Schluss kann unsere Freude an ihr nicht verpatzen.
Wisst ihr, was ich am Liebsten täte
sofern ich das nötige Geld dazu hätte?
Ich nähme Astrid mit auf eine ferne kleine Insel im Meer
und zurückkommen würde ich nimmermehr.
Ich sehne mich dermassen nach dem geliebten Meeresstrand
mit den Füssen würden wir waten, halb im Wasser, halb im Sand
Schwester Astrid würde mich hegen und pflegen bis zu meinem verdienten Ende
und mich streicheln und halten meine kranken Hände.
Das ist es, was mir seit vielen Jahren fehlt und zu Tränen rührt
weil keine liebende Hand meine kranke Haut höchst selten berührt.
Ich weiss schon lange nicht mehr, was Liebe ist
und dieses Gefühl wird von mir ganz schrecklich vermisst.
Auch meine Seele ist krank und traurig
und ich finde es einfach schaurig.
Meine vier Geschwister, seit ich zurück bin aus Spanien, ignorieren mich
und lassen mich als älteste Schwester einfach im Stich.
Seit zehn Jahren im Heim und nie ein Besuch
kein Kontakt, weder schriftlich noch telefonisch, kein Versuch!
Ich frage mich immer wieder warum? Warum denn nur
und verfolge unser Leben und finde keine Spur.
Ich bin mir keiner Schuld bewusst und ihre Absenz ist für mich ein grosser Frust
an zerbrochenem Herzen kann man auch zugrunde gehn
doch letztlich bleibt die Hoffnung bestehn.
Ich bete viel und bitte um Kraft und Mut
und hoffe einfach, einmal kommt es wieder gut.

11. November 2008, 19h40

Für die andern ist man dann …

Die alte Frau fühlt sich allein. Dass sie vorweg vergisst, wer sie besucht hat, verstärkt ihre Einsamkeit. Im Gespräch wünschte ich mir manchmal, ich könnte sie dort besuchen, wo sie in ihrer Wirklichkeit ist.
.
Man wird nichts mehr inne.
Niemand kommt mehr vorbei und erzählt mir, was so läuft.
Wo sind denn die vom Arbeiterverein?
Was? Den gibt es nicht mehr?
Welcher Tag ist denn heute?
Sie sollten Ihren Kalender aufhängen!
Man kommt eben nicht mehr so recht draus.
Der Arzt ist auch noch nie dagewesen.
Doch? Ich weiss es gar nicht mehr.
Man kommt eben nicht mehr so recht draus.
Man sitzt oft allein im Zimmer.
Der Heimleiter hat sich auch noch nie vorgestellt.
Doch? Ich weiss es gar nicht mehr.
Die nebenan sagt, ich sei streitsüchtig.
Und erzählt es allen weiter.
Das macht mich so wütend, ich würde ihr am liebsten die Faust ins Gesicht schlagen.
Früher konnte ich noch in die Kirche rennen.
Jetzt kann ich nicht mehr.
Für die andern ist man dann wie tot.

Notiert von Bernhard Brack, Sozialarbeiter

Sitz’ im Kämmerlein drin

Frau Schiess zeigt mir mit Stolz einen Brief, in dem sich eine Zeitschrift für ihren Beitrag bedankt und ihr ein kleines Honorar überweisen lässt. Ich frage sie, ob sie nicht für die Webseite ÜberLebenskunst etwas schreiben wolle. Sie nimmt dankend an und überreicht mir einige Monate später dieses Gedicht.
.
Wenn ich dann alleine bin
und sitz im Kämmerlein drin
schau so umher
schau zum Fenster raus
und geh ganz gern hinaus
weil ich den Regen lieb:
Er bringt neue Trieb'
die setz' ich mir dann an
und habe meine Freude dran

Anna Schiess, 1921
Alterswohnheim Raphael, St. Gallen
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